Fallbeispiel Übergewicht
Übergewicht
Eine übergewichtige Frau, Sophie, um die Vierzig, kam mit der Frage zu mir, was in ihr geschehen soll, damit sie sich als schlanke Frau wohl fühlen könne. Im Gespräch stellte sich das Gefühl heraus, es würde sie nicht mehr geben, wenn sie abnähme. Hervor kam auch eine gewisse Angst, weiblicher und dadurch attraktiv zu werden. Sie erzählte, dass sie sich Männern gegenüber verunsichert fühlte und ihr der Boden unter den Füssen verschwand, aus Furcht, sich von ihnen nicht abgrenzen zu können. Auf Grund ihrer Erfahrung mit dem „Familien stellen“ nach Bert Hellinger, nannte sie die Tatsache der Vergewaltigung ihrer Grossmutter im Krieg für eine mögliche Erklärung.
Auf ihrer inneren Reise erschien eine Möwe. Sie wollte, dass Sophie sie auf ihrem Flug begleitete.
Sophie: Wir fliegen übers Meer. Die Tiefe macht mir Angst! — Jetzt sind wir wieder an Land. Die Möwe will mir das Fliegen beibringen, aber ich hab solche Angst vor der Tiefe!
Möwe: Du kannst fliegen! Konzentrier dich auf dich und nicht auf die Tiefe.
Zeit verstrich.
Sophie: Jetzt beginnt es Spass zu machen! Das Meer wird heller und ich werde etwas waghalsiger. Ich spüre ganz deutlich meine alten Magenschmerzen, die mich jahrelang zum Essen getrieben haben. Der Schmerz ist wie das Gefühl eines ausgestanzten Loches im Bauch; es lässt mich fast zusammenbrechen.
[Ich lasse die Möwe fragen, ob Sophie mehr über diesen Magenschmerz wissen müsse.]
Möwe: Flieg einfach weiter! Ignoriere den Schmerz! Es nützt nichts, wenn du auf ihn Rücksicht nimmst!
Sophie: Er hält mich wie Blei auf der Erde. Ich hab keine Kraft zum Fliegen.
Möwe: Schade!
Sophie: Ich möchte diese Magenschmerzen loshaben, und die Nackenschmerzen, die jetzt kommen, auch.
Möwe: Also, dann flieg!
Sophie: Das ist unverschämt! Das ärgert mich! Ich fühle mich nicht besonders gut verstanden von der Möwe!
Möwe: Die Lösung liegt im Fliegen!
Zeit verstrich.
Sophie: Ich fühle mich im Fliegen mit den Magenschmerzen so plump. Sie behindern mich. Fühle mich wie Blei. Ich möchte doch frei und beweglich sein!
Möwe: Flieg doch einfach, dann spürst du, dass du leicht, frei und beweglich bist!
Sophie: Jetzt merke ich, dass ich gar keine Möwe bin. Ich bin ein Schmetterling! Die Möwe bewundert mich, wie ich als Schmetterling fliege. Ich bin stolz. Fühle mich so anmutig. Diese Schwerelosigkeit! Es ist so wenig Material an mir! Eben spüre ich aber auch meine Zerbrechlichkeit.
Möwe: Das kann ich verstehen. Als Möwe fühle ich mich schon wesentlich robuster.
Sophie: Seitdem ich Schmetterling bin, sind die Magenschmerzen leichter geworden. – Was kann ich tun, um Schmetterling zu bleiben?
Möwe: Flieg weiter wie ein Schmetterling!
Schmetterling: Ich brauche Lebensfreude. Ich möchte tanzen, lachen, Berührung mit andern Schmetterlingen und Blumen!
Nach der Reise fühlte sich Sophie überglücklich. Sie war entzückt darüber, dass sie brillieren durfte, dass sie ihr ganzes Wesen zur Geltung bringen durfte. Die Reise erwies sich als inneren Wegweiser. Wir umarmten uns beseelt und aus ihrer Kehle kullerten helle und erleichterte Lacher. Auf dem Tisch lag das Geschenk, das sie mir mitgebracht hatte: Kekse mit dem Namen Butterfly!
Der Magenschmerz, der sie übrigens seit dem 18. Lebensjahr gequält hatte, war nach einigen Tagen verschwunden. Das Essen wurde ihr weit weniger wichtig. Der Schmetterling begleitete sie nach wie vor: „Er hilft mir in meinem Gefühlsleben. Ich habe durch ihn ein Stück mehr zu mir gefunden, wer und wie ich bin. Schmetterling zu sein ist mein wahres Wesen, das hatte ich zuvor nie gesehen! Drei Monate später war ich bereit, abzunehmen, ohne Angst, dass es mich nicht mehr gibt, da ich ja jetzt den Schmetterling lebe. Die Magenschmerzen kamen zwar zurück, doch ich gab dem nagenden Schmerz nicht mehr nach. Die Schmerzen zeigen mir auf, wenn ich Möwenstress lebe. Es ist heute lustvoller, mich als schöne Frau zu fühlen als zu essen!“ Sie nahm zehn Kilogramm ab.
Auszug aus meinem Buch „Frage dein Krafttier“.